Montag, 5. Mai 2014

Freundschaft schließen heißt sich öffnen

Freundschaft

Andere Dinge übrigens waren es, die an den Freunden das Gemüt stärker anzogen: Miteinander plaudern und zusammen lachen und sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen, gemeinsam schöne Bücher lesen, miteinander scherzen und sich gegenseitig Achtung schenken, bisweilen sich veruneinen, aber ohne Hass, so wie man auch einmal mit sich selber uneins ist und eben durch den nur seltenen Streit die sonst bestehende Eintracht würzen, einander belehren und voneinander lernen; die Abwesenden schmerzlich vermissen, die Kommenden freudig begrüßen; durch solche und ähnliche Zeichen, wie sie Liebe und Gegenliebe aus dem Herzen sich äußern in Kuss und Wort, in Blicken und in tausend freundlichen Gesten einander in Bewegung versetzen , so dass aus den vielen eine Einheit wird. Dies ist es, was man an den Freunden liebt und dermaßen liebt, dass man sich Gewissensvorwürfe machte, wollte man nicht Liebe mit Gegenliebe, Gegenliebe mit Liebe vergelten, wollte man vom anderen noch Greifbareres verlangen als solche Beweise des Wohlwollens. (Augustinus: Bekenntnisse IV,8,13, nach verschiedenen Übersetzungen)

Freundschaft ist nahe an der Liebe

Augustinus war ein Mensch, dessen Freunde ihm sehr viel bedeuteten. Freundschaft steht für Augustinus sogar ganz nahe bei der Liebe: Zwei verlangen danach, eins zu sein. Er schreibt, dass er seine »Seele und die Seele seines Freundes als eine Seele in einem zweifachen Leben erlebt«.[1] Er erlebt das wohl deshalb so, weil Freunde es wagen, einander »all ihr Inneres anzuvertrauen«.[2]
  • Es ist klar, dass eine solche Übereinstimmung zwischen zwei oder mehr Menschen für Augustinus eine Art Vorgeschmack auf den Himmel ist. 
  • Dass Freunde einander die Wahrheit sagen, ohne sich gegenseitig zu verurteilen[3] und nicht in allen Fragen übereinstimmen müssen, gehört auch dazu. 
  • Es geht nicht darum, Freunde zu haben, sondern selbst Freund für andere sein zu können. »Ohne Freunde könnte ich nicht glücklich sein«, schreibt er.[4] Es ist daher auch verständlich, wenn er die Anwesenheit seiner Freunde vermisst.[5]
Wenn er über Freundschaft nachdenkt, hat er nicht den gegenseitigen Nutzen im Auge, der durchaus auch dabei sein kann, ebenso wie gegenseitige Hilfe und Unterstützung im Alltag oder in besonderen Situationen. 
Nein, Augustinus meint den Freund selbst, nicht seinen Besitz, seine Eigenarten, seine Qualitäten oder seine Begabungen. Ehrlichkeit und Offenheit, Offen-herz-igkeit, sind natürlich Eigenschaften, die auf die möglichen Freunde anziehend wirken. 
Ohne diese und ohne Treue und Vertrauen kann es keine Freundschaft geben. 
Schmeichelei (adulatio, wörtl. Schwanzwedeln) und Harmoniesucht sind der Tod der Freundschaft. Dies gilt auch für die Blindheit. Kritik ist erlaubt, auf Fehler wird aufmerksam gemacht: 
»Nicht jeder, der Nachsicht übt, ist ein Freund; nicht jeder, der uns hart anfasst ein Feind« (Spr 27,6)
»Du liebst deinen Freund, in dem du verabscheust, was ihm schadet.«[6]
Und natürlich erhofft man sich in einer Freundschaft auch nur wohlwollende Zeichen und erwartet z.B. keine Schläge. Freunden geht es also darum, das Wohl des Anderen zu wollen, zuerst für den Anderen, dann für beide.
Er lässt Freunde nicht alleine, wenn sich in ihrem Leben etwas ändert: 
»Der Freund wird plötzlich arm, du willst nichts mehr von ihm wissen? Dann war sein Geld dein Freund und nicht er selbst.«[7] 
Man kann einander noch immer das Wohlwollen schenken, auch wenn man nichts hat.

Schlechte Freundschaften?

Allerdings geht Augustinus nicht soweit, dass er für den Freund sündigen würde, nur um seine Freundschaft zu erhalten. 
Schlechte Freundschaften sollte man sogar nach seiner Ansicht schleunigst beenden, jedoch nicht beim kleinsten Fehler bereits die Freundschaft in Frage stellen.
Beweisen aber kann man Freundschaft nicht. (vgl. Blogbeitrag zu Vertrauen)

Freundschaft schließen heißt sich öffnen

Die gegenseitigen Gefühle und Empfindungen der Freundschaft, das Wohlwollen kann man zwar spüren, aber nicht erzwingen. Freundschaft ist und bleibt ein Geschenk. Und sicher geht es um eine Entscheidung, man "schließt" Freundschaft. 
Augustinus weist niemanden ab, der Freundschaft mit ihm schließen will, ohne selbst gleich diesen in die Freundschaft aufzunehmen. Aber er ist bemüht, diesen Menschen so zu behandeln, dass er in die Freundschaft aufgenommen werden kann.
In jeder Lebenslage braucht man Freunde oder muss sie sich suchen, und ohne Freunde ist alles nichts: 
»Sobald gute Menschen da sind, meistert man die Schwierigkeiten.«[8]
Und in den guten Menschen, den Freunden sieht Augustinus Gott tätig. 
Ja, er geht sogar noch einen Schritt weiter und sucht die Nähe von Freunden, weil er genau da Gott, man könnte sagen "mit Haut und Haar gegenwärtig" erlebt:
»In die Arme lieber Freunde fliehe ich gern mit meinem ganzen Ich, wenn ich müde bin von den Widerwärtigkeiten des Lebens; in ihrer Liebe finde ich Ruhe und Frieden. Denn ich spüre: Da wohnt Gott. Und ihm überlasse ich mich sorglos.« (Augustinus: Brief 73,10).
Stell Dir vor, Du wärst ein solcher Freund. 
Und so lass uns einander Freunde sein! 
Ich freue mich auf Dich. 



[1] Liebe - was ist sie anderes als ein Leben, in dem zwei sich einen oder eins zu sein verlangen? So erlebe ich meine Seele und die Seele meines Freundes als eine Seele in einem zweifachen Leben. (Augustinus)[2] Von dem können wir sagen, dass er in die Freundschaft aufgenommen ist, dem wir all unser Inneres anzuvertrauen wagen. (Augustinus: Über 83 verschiedene Fragen 71,6)[3] Niemand kann in Wahrheit der Freund eines Menschen sein, wenn er nicht zuvor ein Freund der Wahrheit ist. (Augustinus: Brief 155,1); Niemals dürfen wir über einen unbekannten Menschen ein Urteil fällen; und keinen können wir erkennen, es sei denn durch Freundschaft. (Augustinus: Über 83 verschiedene Fragen 70,5)[4] Bekenntnisse VI,16,26.[5] Ich empfinde Schmerz, lieber Freund, dass ich dich nicht sehe, und doch tröstet mich gerade dieser Schmerz. Deshalb missfällt mir die Willenskraft, mit der man die Abwesenheit guter Menschen, wie du einer bist, zu ertragen versucht. Ich kann mich der Sehnsucht nicht erwehren, und wenn ich es könnte, wäre es ein entsetzliches Können. Es freut mich, dass ich es nicht kann, und in dieser Freude liegt mein Trost. (Augustinus: Brief 27,1)[6] Predigt 49,5,5,8[7] Vgl. Tars van Bavel: Charisma: Gemeinschaft; 52ff.
[8] Wenn Armut uns bedrückt oder Trauer uns lähmt, körperlicher Schmerz uns quält oder wir traurig in der Ferne weilen, - was immer an Unglück uns treffen mag, sobald denn gute Menschen da sind, die nicht nur mit den Frohen sich zu freuen wissen, sondern auch mit den Weinenden zu weinen, ein aufmunterndes Wort sprechen oder ein Gespräch anknüpfen können, dann sind die Widerwärtigkeiten meist schon gelindert, das Schwere wird leicht, und man meistert die Schwierigkeiten. In ihnen und durch sie wird aber ER tätig, der durch seinen Geist andere gut macht... So ist im Gesamt menschlichen Lebens nichts, was uns freundlich ist, ohne die Freundschaft eines Menschen. (Augustinus: Brief 130, II, 4)

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