Mittwoch, 16. April 2014

Gründonnerstag

Kar-Donnerstag

Ein Fest ist normalerweise Anlass zur Freude — aber was feiern wir heute?
Dieser Tag wird "Grün-Donnerstag" genannt. Was bedeutet das?
  1. Die Bezeichnung "Grün-Donnerstag" geht auf den Brauch zurück, etwas Grünes zu essen — Grünkohl z.B., und das erinnert an die jüdische Tradition: am Passah-Fest wird nicht nur das geopferte Lamm gegessen, sondern auch die grünen Bitterkräuter um sich an die Gefangenschaft und die Befreiung aus der Sklaverei zu erinnern. Wenn wir also vom grünen Donnerstag reden, sind wir mitten im Herzen der jüdischen Geschichte, eine Tradition, die Jesus aufgegriffen und uns aufgetragen hat und die im Herzen der Menschen als Brauchtum weiterlebte.
  2. Es gibt eine andere Ableitung von "grün" aus dem indogermanischen "gar": rufen, schreien, jammern. Daraus wurde "kar": Wehgeschrei, Klage, Sorge, Kummer — die Karwoche trägt diesen Namen — kar steht im Altnordischen auch für Gefäße und schließlich für den Sarg als das letzte Gefäß des Körpers, des Leichnams. Das Altenglische kennt den Char-Thursday; das englische care bedeutet Sorge, Pflege, Achtsamkeit, Vorsicht. Das indogermanische gar führt aber auch zum Alt- und Mittelhochdeutschen "gronan", "greinen". Es bedeutet zum einen lachen — und somit haben wir wirklich einen Grund zur Freude — zum anderen aber auch weinen und brüllen. Ja, mit greinen meint man sogar das Knurren von Hunden und das Grunzen von Schweinen. *grins*
Grün, volkstümliche Tradition, Erinnerung, Freude — und die Klage der Kirche! 
Was soll das? Warum erzähle ich eine Geschichte von ausgestorbenen Sprachen und Bedeutungen? 
Die Antwort, eine weitere Frage: Weißt Du, was Christen am Gründonnerstag feiern? 

http://jobo72.wordpress.com/2014/04/17/millionen-christen-durfen-nicht-feiern/
  • Wir dürfen feiern! Wir wollen nur nicht mehr, oder?

  • Wir feiern die Erinnerungen unserer Heilsgeschichte, die wir mit dem Brauch, grüne Kräuter zu essen aus dem Jüdischen übernommen haben. 
  • Wir feiern die Freude einer Befreiung und den gleichzeitigen Schmerz — wir feiern Erlösung, Leben — und wir feiern Tod.
Genügt das? Nein?
Mir auch nicht. 
Ich weiß noch nicht, was das mit mir zu tun haben soll. 

Willkommen zu allem, was man schon mal gehört hat über dieses Fest. 

Willkommen zu Erinnerungen an Fußwaschungen, an Kreuzverehrung, Speisensegnung, Ostereiersuchen und Frühlingsgefühle. 
Die Älteren von uns haben den Katechismus noch gelernt und die Jüngeren haben es auch schon mal gehört — wir feiern natürlich unsere Erlösung und Jesu Auferstehung von den Toten. Am Sonntag! Und das beginnt schon heute Abend und endet am Ostermorgen so unveränderlich langweilig wie immer für unsere Sünden ist er gestorben und zu unsrem Heil auferstanden und wenn er nicht gestorben ist dann lebt er heute noch ... So feiern wir! 
Feiern wir so? 
So will ich nicht feiern, das habe ich alles schon mal gehört — und das will ich nicht nochmal hören: was ich feiern will ist das Unerhörte. 

Unerhörte Hohe Zeit?

Die Belgier, so hat mir mein Freund Johan erzählt, nennen ihn den "Weißen Donnerstag"; er wird auch der Hohe Donnerstag genannt — aber was ist an diesem Tag eine "Hohe"-Zeit, eine Hoch-Zeit? Heiraten wir heute?
Ich finde, das Bild der Hochzeit, der Vereinigung von Mann und Frau passt schon irgendwie auf die Vereinigung von uns mit Jesus, die wir heute im Abendmahl feiern.
Mensch und Gott, miteinander versöhnt, sitzen zusammen am Tisch, Sünder und Heilige ... 
Also feiern wir? 
Dann setze bitte ein freudigeres Gesicht auf: Lache – von mir aus kannst Du auch knurren *grrr* oder grunzen *grunz* — achte ein wenig auf die Menschen um Dich herum. 
Das kommt manchmal seltsam rüber :-)

Das Kleingedruckte an Ostern

Ich möchte nicht unehrlich feiern, gestatte mir bitte noch, auf das Kleingedruckte hinzuweisen: Es wäre unglaubwürdig, zu verschweigen, dass uns im weiteren Verlauf dieses Festes Hören und Sehen vergehen wird. 
Ob es nach diesem Hohen Donnerstag eine weitere Hoch-Zeit mit Christus geben wird, möchte ich an dieser Stelle noch nicht zu hoffen wagen — wie es weitergehen wird, das liegt an uns, an uns allen.
Willkommen in Blog-Beitrags-Gottesdienst, in dem wir das Wort Leichenschmaus sehr wörtlich verstehen werden.

Die Speisekarte ...

Als ersten Höhepunkt der anlässlich dieses Festes zu erinnernden Grausamkeiten verspreche ich etwas einzigartiges zu Essen; der erste Gang besteht aus eines Menschen Fleisch — dazu reichen wir einen berauschend sinnlichen  Trank — eines Menschen Blut. 
Klingt brutal, oder? Ist auch eher symbolisch, zum Glück.
In diesem unvergesslichen Abendmahl wirst Du ein neuer Mensch, wirst mit den Menschen um Dich herum eins — in Fleisch und Blut nimmst Du Anteil daran, dass Christus sich für Dich, für uns, für alle hingegeben hat.
Oh je.
Auch wenn Du es nicht glaubst oder für unglaublich hältst: wir werden zum Leib Christi und durch Gottes Barmherzigkeit selbst zu Brot und Wein. 
Wie das geht, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht so genau — und es ist nicht so, dass ich das jeden Tag spüren würde; aber so dann und wann habe ich eine leise Ahnung davon, möchte es ergreifen, bewahren, besser verstehen und leben ...
Als zweiten Gang bieten wir den letzten Gang zum Ölberg und daran anschließend den Gang zum Kreuz mit einem feierlichen Abschluss-Arrangement: eine Kreuzigung — live: ab Karfreitag um 15 Uhr

... alte Geschichten ...

Vorher wirst Du in der Kirche, im Gottesdienst, in der Liturgie (hier nicht) von Erinnerungen hören — von guten und weniger guten, von einem Völkermord, den wir als Preis für unsere Befreiung zahlten — und bis heute zahlen. Geschichten aus der Bibel.
Wir sollen uns erinnern, dass Blut geflossen ist, Menschen gefoltert und getötet wurden, Schuldige — und viele, viele Unschuldige — und während wir fromm zusammensitzen, werden wir daran erinnert, dass woanders das Blut literweise weiter fließt.
Solche befremdlichen Worte zu einem Gottesdienst, in dem wir fröhlich unser erstes und zugleich unser letztes Abendmahl feiern möchten! Ja?
Ist das wirklich so fremd, wie es klingt? Ja!
Ich rede — auch wenn Du was anderes hörst — ich rede vom Leben, Du hörst und liest Blut und Mord und Leid. 
Ich rede vom Heil. Du hörst und liest Grausamkeit und Qual und Tod. 
Ist es nicht so? Das Leben geht nicht ohne Mord und Totschlag ab. Du brauchst nur die Nachrichten zu schauen ...

... und der Nach-Tisch

Und was tust Du anderes, wenn Du Dich ernährst, als von Gott geschaffenes tierisches oder pflanzliches Leben zu töten? 
Und doch ist es anders: Schweine und Rinder opfern sich nicht freiwillig. Oder doch? Wir wissen das nicht so genau. Getreide und Gemüse opfert sich ebenso wie die Trauben, um sich verwandeln zu lassen? Seltsamer Gedanke. 
Als Symbol für das Leben, das Leben, das Gott uns schenkt. 
Und wir?
Eines Tages — unausweichlich — geben wir, ob wir wollen oder nicht, unser Fleisch den Würmern. Es gibt kein Heil, wir alle werden sterben. — Zumindest ist das die größte Wahrscheinlichkeit und Sicherheit, die uns dieses Leben zu bieten hat.
Aber wenn auch bislang außer uns offensichtlich alle gestorben sind, unsere Heilsgeschichte wird weitergehen. Das glaube ich zumindest – auch wenn es um Unglaubliches gehen mag. 
Und wenn Du das nicht glauben willst, dann feiere es wenigstens. Feiere Deinen Tod — wenn Du Dich schon nicht zu leben traust!
Erinnerungen, in denen in dicht zusammengedrängter Form das ganze Heils- und Unheilsdrama von uns nachgelebt werden soll. 
Nachzulesen in

Ein Mysterienspiel 

Das Spiel kennt verschiedene Rollen: Um den einen, den wir uns heute einverleiben, den wir morgen ans Kreuz schlagen werden, endlich zu fassen, zu ergreifen, und was er uns tut, uns an-tut, um ihn zu greifen, zu be-greifen, benötigen wir einen Verräter. 
Einer — vielleicht auch mehrere.Möchte jemand freiwillig? 
Wer ist es? Sie vielleicht — oder Du — oder vielleicht ich? 
Nun, dann verdammen wir uns am besten alle dazu!
Alle von uns hier werden ihn, den wir in frommen Worten unseren Heiland und Erlöser, unseren geliebten Freund und Meister nennen und mit schönen Liedern besingen, noch in dieser Nacht verraten und damit sein Todesurteil ermöglichen.
Das gehört dazu!
Alle werden wir dem Schlaf anheimfallen, das Geschehende zu verdrängen versuchen, voreinander fliehen, Verrat an unseren eigenen Überzeugungen üben und in eine Grabesruhe verfallen, die uns allen das letzte Fünkchen Hoffnung und Leben ersticken lassen wird.
Noch in dieser Nacht werden wir ihn uns aus dem Sinn schlagen, unser eigenes Hören und Sehen vergehen lassen. Wir werden in dieser Nacht noch unsere Schwerter ziehen und uns mit schneidenden Worten einander gegenseitig die Ohren abhacken um nichts mehr hören zu müssen. Und wir werden sogar noch weiter gehen als Petrus mit Malchus, dem Knecht des Hohepriesters und werden uns sogar noch die Augen ausstechen um nichts mehr davon sehen zu müssen — und es wird kein Jesus da sein, der flugs das Ohr wieder dranzaubert und uns Blinden das Augenlicht gibt.
Willkommen also zum Fest, an dem sich einer hingibt, sein Leben opfert, sich umbringen lässt, auf grausamste Weise abschlachten lässt — wie ein Lamm ... oder wie ein Rindvieh ... oder wie ein Schwein — abschlachten lässt, damit andere — wir — leben können. 
Er sollte ebenso sterben wie wir sterben, elendiglich zu Grunde gehen, kalt werden, verrecken am Kreuz. Das ist unsere Erinnerung, unsere Unheilsgeschichte, unsere Versklavung, unser Verderben unser Tod. 

Willkommen also, zur Feier unseres Todes

Ich spiele dieses Spiel mit, weil ich glaube, dass es eine bedeutungsvolle Sache ist, was Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat.
Was diese Geschichte bedeutet, für Dich, wie sie ausgehen wird, diese Lebens-Erinnerung, das weiß ich an diesem Punkt der Geschichte nicht.
Die Dramaturgie unserer Erinnerungen, unseres Spiels, unseres Lebens sieht vor, dass wir das alles, was wir schon so oft gehört haben, an dieser Stelle der Feier noch nicht wissen. Vergiss es! — So könnte das vielleicht was werden. 
So könnten wir vielleicht diese Geschichte nachleben, all diese Grausamkeiten ertragen, die zu unserem Heil geschehen sein sollen und geschehen werden. 
Und wenn das so ist, sollten wir sogar daran Anstoß nehmen, weil wir noch Leben in uns spüren, und uns nach Kräften bemühen, unserem Herrn und Meister nachzusterben. 
Das dürfte uns einfach fallen, oder?
Denn wir weigern uns doch ohnehin ständig sehr kräftig, lebendig sein zu wollen.
Diese Feier ist sehr lang, sie begann eben und wird nicht enden, niemals.
Auch nicht, wenn wir das Kirchengebäude verlassen (der Blog zu Ende gelesen ist) und — wie am Gründonnerstag üblich — wir ohne Segen in das weitere Leben gehen.
Wende Dich dann bitte zum Ölberg.
Du wirst feststellen, dass seine Ausläufer in dieser Nacht bis in Dein Wohn- und Schlafzimmer reichen werden.
Wenn Du meinst, dass es zu Deiner Frömmigkeit gehört, bete an, bleibe wach. 
Wenn Du es möchtest, wache mit unserem Herrn und bete, damit Du nicht in Versuchung gerätst — solltest Du dennoch zwischendurch einschlafen, mach Dir nichts daraus, denn auch den Auserwählten Freunden Jesu (Matthäus, Verse 38-46) sind in jener Nacht die Augen zugefallen. 
Und solltest Du den Wunsch verspüren, jemanden zu küssen, denke daran, dass der Kuss auch ein Zeichen des Verrats und nicht nur ein Ausdruck von Liebe ist. 
Das alles gehört zu dieser Nacht, wie es auch zu unserem Leben gehört. 
Es ist Teil der Geschichte, an die wir uns heute erinnern. 
Und so schön es wäre, wenn alle fröhlich feiern könnten, einander lieb haben und nicht weiter mit unserem Sterben behelligt würden — es wäre Lüge. 

Das Unheil erkennen

In dieser Nacht wird unser Heil darin liegen, zu erkennen,
  • dass es kein Heil gibt, wie wir es uns vorstellen.
  • dass wir einander Kreuze aufladen,
  • dass wir uns keine Schweißtücher reichen auf unserem Lebensweg, der ein Kreuzweg ist,
  • dass wir einander keine Füße waschen, sondern uns mit Dreck bewerfen,
  • dass jeder von uns die Größte, der Stärkste, der Schönste, die Fleißigste sein will,
  • dass Blut an unseren Händen klebt und nicht nur an unseren Häusern an denen der Schrecken des Herrn vorbeiziehen wird —
Und das, das ist die einzige Frohe Botschaft für heute!

Das Heil lesen

Im Johannes-Evangelium, das die Kirche ausgerechnet zur Abendmahlsfeier am Grein-Donnerstag vorsieht, ist nichts vom Abendmahl zu lesen, sondern es wird auf die Tradition verweisen, auf den Abend vor dem Passah-Fest, an dem Jesus grüne Bitterkräuter gegessen hatte und sich selbst zum Lamm machte, sein Gewand ablegte und seinen Freunden die Füße wusch um uns zu einem Teil von sich selbst zu machen. 
Gott ist in uns verliebt, unglaublich.
Und er geht dabei bis zum Letzten.
Abendmahl. 
Und das ist und bleibt unerhört!

Im Anschluss daran wirst Du Dich wieder Deinen Alltagsgeschäften zuwenden und das Geschehene verdrängen und vergessen — denn morgen, morgen wird Alles zu Ende und unsere Hoffnung auf Leben endgültig zunichte sein. 
Dann ist Gott tot.
Zumindest, soweit wir Menschen das sehen können. 
Manche trauern und fasten an diesem Kar-Freitag. 
Für mich kann kein Verzicht den Verlust aufwiegen, den ich an diesem Tag erleide, an dem mein Gott stirbt. Ich habe in den letzten Jahren versucht, mich mit Schokoladeneis über diese traurige Tatsache hinwegzutrösten. Schokoladeneis ändert zwar nichts daran, dass ich sterben werde, dass alles so un-heil ist, aber es erinnert mich daran, dass ich lebe!
Und leben werden wir, das hat unser Gott uns verheißen: Am Ende dieses längsten aller christlichen Gottesdienste werden wir aufstehen zu leben. So hoffen wir.
Das hat er uns versprochen (Johannes, Verse 23-27).

Wem der Weg zu weit ist, der Morgen zu früh, die Zeit zu lang, das Wagnis des Lebens zu groß, der kann das Ende dieser Sterbens- und Totenfeier hier im Blog am Sonntagmorgen um 6 Uhr mit dem Auferstehungsgedanken zu erleben versuchen.

Ob es ein Ostern für uns alle geben wird? 
Ob es eine Erlösung von all dem Un-Leben geben wird?
Ob eine Auferstehung von den Toten geschieht? 
Ob der Tod somit nicht das Ende sein wird, sondern der Beginn eines Neuen Lebens? 
Ob und wie es weitergeht, das werden wir sehen und erleben und darum lasst uns beten.

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