Mittwoch, 16. April 2014

Karfreitag

Die Karfreitagsliturgie ist wohl die älteste und ursprünglichste Form eines christlichen Gottesdienstes, es ist mit dem Abendmahl und der Auferstehungsfeier der wichtigste Gottesdienst der Christenheit — und zugleich der befremdlichste.
Er sollte es sein. Ist es oft nicht. Sie halten es nicht aus. 

Du hältst es nicht aus.

Kein Blumenschmuck, kein Trauergesang, keine Kerzen. Kein Tanz!
Das Kreuz als trostloses Zeichen alleine, wirft uns auf uns selbst zurück.
Es gibt keine Eucharistie, ja, nicht einmal eine Kommunionfeier.
(Das wäre wünschenswert. Aber man hält es nicht aus.)

http://jobo72.wordpress.com/2014/04/17/millionen-christen-durfen-nicht-feiern/

Wir dürfen feiern! Wir wollen nur nicht mehr, oder?

Nichts, womit wir normalerweise Zeichen von Gottes Nähe zu uns Menschen erleben, kann uns über die Tatsache hinwegtrösten, dass Jesus stirbt —  

jetzt, am Kreuz

— und weil der, den wir für den Sohn Gottes hielten, am Kreuze hängt und stirbt werden wir heute in unserer Erinnerung, in unserem Inner-en, Inner-sten mit ihm gekreuzigt und ihm nachsterben.


Jetzt wird mein Elend voll, und namenlos erfüllt es mich. Ich starre wie des Steins Inneres starrt. Hart wie ich bin, weiß ich nur Eins: Du wurdest groß — ...und wurdest groß, um als zu großer Schmerz ganz über meines Herzens Fassung hinauszustehn. Jetzt liegst du quer durch meinen Schooß, jetzt kann ich dich nicht mehr gebären. (Rainer Maria Rilke)
Die Mutter trägt ihr totes Kind. Kein Gott, keine Erlösung greifbar, kein Messias und Heiland mehr, der Deine Not lindert, und Dich Menschlichkeit lehrt. Der Tod hat ihn erlöst, und Dich und uns hat er vergessen. Wie sehr Gott in ihm auch in die Welt gekommen sein mag; heute ist er tot; aus den Augen, aus dem Sinn.

Er starb nicht

Er starb nicht, er verreckte am Kreuz, verendete. Wir haben sein Folterinstrument, das Kreuz als Schmuck in unsere Wohnzimmer gehängt und es somit sehr schnell überspielt und verharmlost. Da hängt er, hübsch in Silber und Gold gegossen, oder aus Holz geschnitzt, damit man das viele Blut nicht mehr sieht.

Wie fühlst Du Dich?

Jetzt? Schrei laut auf, rauf Dir die Haare, streu Asche aufs Haupt, zerreiß Deine Kleidung, bedecke die Statuen und Kreuze, verbrenne die Blumen, wirf die bunten Fenster der Kirchen ein und lass keinen Stein eines jeden Gebäudes auf dem anderen.
Welcher Gott, welcher tote Heiland liegt dir quer?
Oder sitzt dir dein Gott im Nacken? Fühlst du dich von ihm überwacht, kontrolliert, beobachtet? Er flüstert dir vielleicht ein, du wärest ein schlechter Mensch, voller Fehler, dass du alles falsch machst. Du meinst, du müsstet es nur besser machen, dann würde Gott dich lieben, dann würdest du auch ein bisschen Glück im Leben haben? Gleichzeitig stehst du da, betrachtest vielleicht alle anderen als etwas Besseres als du selbst es bist; oder bist du verschlagener, argwöhnisch den anderen gegenüber: Sie werden wohl etwas im Schilde führen, sie sind hinterhältig.
Du bestehst auf dein Recht? Du kämpfst mit allen Mitteln darum, du musst Recht haben? Was Du sagst, das ist die Wahrheit. Du setzt deinen Willen durch und ständig streitest du mit anderen um nutzlose Kleinigkeiten, ob nun zu viel oder zu wenig Haare in der Suppe sind. Du siehst es grundsätzlich immer anders als der Rest der Welt es sieht? Du suchst dein Heil auf dem Rücken anderer zu finden und merkst nicht, wie deren Rücken unter deinem Gewicht immer krummer und unter deinen Peitschenschlägen zu platzen beginnt.

Du bist stolz auf deine Unabhängigkeit von deinen Mitmenschen. Du genügst dir selbst? Du willst nicht auf andere angewiesen sein, willst selbst stark sein? Männer sind so! Frauen müssen auch stark sein. Das kostet viel Kraft. Du wirst dich wohl nicht allzu sehr vom Mitgefühl mit anderen bewegen lassen, das Leid der Welt, es zieht an dir vorüber. Barmherzigkeit mit den Schwachen ist eine gute Idee, vielleicht verstehst du sogar was davon: Man soll schon Gutes tun, brav sein und so ... Aber du bist vor Jahren mal beleidigt worden und bist bis heute unversöhnlich. Und das bleibst du für alle Zeiten?

In der Tiefe Deines Herzens gibt es keinen Platz für einen Gott, der sich am Kreuz ganz schwach machte, keinen Platz für einen Gott, der am Kreuz hängen bleibt, auch nachdem er aufgerufen wurde, sich als kraftvoll und mächtig zu erweisen, sein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen und endlich Ordnung zu schaffen und aufzuräumen. Kein Platz für einen Gott der sich als ohnmächtig erweist. Denn da ist schon ein anderer Gott.
Gib diesem falschen Gott einen Kuss, verrate ihn. Lade deinem Gott das Kreuz auf den Rücken, auf den Kreuz-Weg schick ihn und lass Dir diesen Gott nicht länger quer liegen, überlass ihn seinen Gegnern, aus dem Weg mit ihm, aus den Augen, aus dem Sinn.
Schlag ihn ans Kreuz, deinen Gott, lass ihn dort hängen und elendiglich zu Grunde gehen, hab kein Erbarmen mit ihm, warts ab, ob er vom Kreuz heruntersteigen wird, wenn nicht, soll er doch hängen bleiben, aus dem Weg mit ihm, aus den Augen, aus dem Sinn.

Und Wir anderen?

Bleibt hier, wachet mit mir, mit mir hier, oder geht einfach weg. Wir wachen nicht mehr, wir beten nicht mehr, wir glauben nicht mehr. Was auch immer wir davon vielleicht einmal taten, es hat offensichtlich nicht viel gebracht.
Alle Grausamkeiten, die andere ihm antaten, es waren ja immer die anderen, haben wir übertüncht. Wir können nun schreien, klagen, weinen, uns Asche aufs Haupt streuen, aber selbst wenn wir unsere schönen Kirchen abreißen, ändert das nichts mehr. Alle unsere Hoffnungen sind zunichte, Erwartungen auch, mit ihm eben an diesem Kreuze jämmerlich zugrunde gegangen. Unser Leben ist missglückt, kein happy end. Grausame Wahrheit. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Wir halten es nicht lange aus, unter dem Kreuz aus, möglichst schnell verschwinden wir aus seiner Todes-Stille, die auf den letzten Schrei folgte, haben den Stein abgelegt,vors GRab gerollt, schon beinahe vergessen, wo wir standen, gleich ein Gebet gesprochen und hören vielleicht, vielleicht eher nicht, irgendwelche Worte eines Predigers, der meint, vielleicht eine Antwort geben zu können.
Ach was, also wirklich, Leute, wenn ihr das von mir erwartet, tut es mir leid, ich weiß da auch nicht weiter. Aber das Leben geht schließlich weiter.

Entstellt bis zum Davonlaufen

Es gibt wirklich keinen, der heute nicht davonlaufen möchte, so wie es die anderen Jünger taten. Also machen wir es wenigstens wie diese, laufen wir auch davon. Unser Gott ist tot, wir suchen keinen Lebenden. Lasst uns ihn ins Grab legen, lasst uns den Stein vor das Grab rollen, damit es nicht so stinkt, wenn er verwest, aus dem Weg mit ihm, aus den Augen, aus dem Sinn.
Der am Kreuz so grausam Entstellte, er ent-stellt, das ist eröffnet, uns den Blick auf unseren Gott, welcher auch immer es ist. Er ent-stellt den von frommen Tränen verschleierten Blick auf unser Leben, und eröffnet, zeigt es uns so, wie es wirklich ist.
Vielleicht verstellt uns das Kreuz, das wir uns selbst auferlegt haben, den Blick auf den, der sich uns gegenüber als Entstellter nicht verstellt sondern eröffnet.
Den so Querliegenden, den können wir nicht mehr übersehen.
  • es liegt quer, das Wahrheit frei macht.
  • es liegt quer, dass Gott im Menschen ist, in dem, der neben dir sitzt.
  • es liegt quer, dass Gott in uns allen geboren ist, gelebt hat, gestorben ist.
  • es liegt quer, dass da ein Mensch sitzt, der Hoffnungen, Ängste, Befürchtungen, Hoffnungen hat, Gefühle, der nicht besser, nicht schlechter ist als du, auch wenn er so tut.
  • es liegt quer, zu vergeben.
  • es liegt quer, die "glückliche Schuld"
  • es liegt quer, der Mensch geworden ist, um Menschen zu befreien.
  • es liegt quer, das Geheimnis des christlichen Glaubens.
Aber dass im Tod das Leben ist, das könnte heute an uns geschehen.
Denn das letzte Wort ist gesprochen, der Todesschrei ist ausgestoßen.
Er atmet nicht mehr.
Er ist tot. 
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Und für einen Augenblick hält die Schöpfung den Atem an.
Und man hält es nicht aus.

Der Vorwurf: Mein Gott, warum hast du uns verlassen?

Alle sind wir nun hineingezogen in die Stille des Grabes
Spürst Du, wie es Dir kalt wird an den Füßen, im Gedärm, im Herz.
Mein Gott, warum hast du uns verlassen?
Du lässt uns zurück in einem Leben, das unvollendet ist.
Soviel hatten wir mit dir noch vor, nach Jerusalem wollten wir ziehen, später von Rom aus die Welt erobern — und nun? Grausame Hoffnungslosigkeit, erinnerungsvolle Vergangenheit — aus, ein für allemal aus und vorbei. Du bist fern meinem Schreien. Du bist tot. Und ich halte es nicht aus.
War das denn wirklich nötig?
Warum musstest du denn auch bis zum letzten gehen?
Haben wir dir nicht immer gesagt, dass du vorsichtig sein solltest?
Wäre es denn nicht klüger gewesen, etwas mehr Zurückhaltung zu zeigen?
Es war doch klar, dass die Mächtigen sofort zuschlagen würden, wenn sich die Gelegenheit deiner Unachtsamkeit bietet.
Wir wussten es doch, dass es so nicht weitergehen kann.
Waren wir selbst taub geworden für die Realität dieser Welt, nur um deinen Worten zu lauschen und den himmlischen Klängen unserer Erwartung eines paradiesischen Friedens im Reich Gottes hier und jetzt zu lauschen?
Träume, die nun zerplatzt sind wie Seifenblasen.
Nur noch Augen für dich hatten wir, so schön war es, an deinen Lippen zu hängen und schon lange blind geworden vor Liebe, schauten wir sogar noch weg, als der erste Peitschenschlag deinen Rücken zum Platzen brachte.
Und wir hätten dich noch so sehr gebraucht.
Wir wollten von dir noch so viel lernen und dir noch so viel erzählen und nun bist Du tot.
Hättest du nicht eingreifen können?
Du gabst uns doch Hinweise genug, dich als unseren Messias, unseren König, als Herrscher, der alles umstürzen wird, zu erkennen. Doch du, du Hoffnungsträger all unserer uneingestandenen Veränderungswünsche bist nicht geflohen, hast dich nicht gewehrt, hast nicht zurückgeschlagen, sondern das Kreuz getragen und dich auch noch dranschlagen lassen, du Narr! Dich vorgeworfen, uns zum Vorwurf geworden.
Warum nur?
Warum nur hast du da deine Macht nicht gezeigt?
Warum nur hast du deine Last nicht auf den Herrn gewälzt?
Warum nur hat Gott dich nicht herausgerissen?
Und wir rufen bei Tag doch du antwortest uns nicht mehr, und wir rufen bei Nacht und finden keine Ruhe.
Und immer wieder meinen so viele, Antworten geben zu können.

Hingeworfenes

Schwachherziger Versuche des Trostes, vor uns hin geworfen,uns zum Vorwurf gemacht, was der Sinn deines Lebens, der Sinn deines Todes sein soll, der Sinn unseres Leidens und unseres Todes, der Sinn des Millionen und abermillionenfachen Todes. Für uns. Unserer Sünden wegen. Weil wir zuviel an Sex gedacht, Schokolade genascht, nicht brav gefastet und manches mehr getan und vieles unterlassen haben, durch meine Schuld, erzählen sie uns von ihren Kanzeln und erinnern sich in ihren Büchern seit Jahrhunderten, du seist der Gottessohn, dass du gestorben seist für unsere Sünden, um unser Leid auf dich zu nehmen und uns zu erlösen.
Und alle Fragwürdigkeit deines Lebens erklären sie uns ebenso weg wie die Zumutung deines Todes.
Weggeworfen, dein großer Ent-wurf in unserem Geworfensein einen neuen Wurf zu wagen.
Du bist ihnen aus dem Augen, aus dem Sinn.

Gott ist tot

Und inzwischen weiß es alle Welt, wir sind der Leute Spott geworden, alle die uns sehen, lachen über uns, die wir noch immer an deinen Worten hängen. Euer Gott ist tot.
Und es scheint uns, sie haben Recht, denn das deckt sich mit unserer Erfahrung. Leid und Tod ohne Sinn war, ist noch immer, mitten im Leben und aller aus dem Leben Gerissenen von Herodes bis Auschwitz, von den Indianern Amerikas bis Syrien und den im Mittelmeer Ertrunkenen, von dem jungen drogensüchtigen Obdachlosen in der Stadt, verstoßen von ebenso braven Leuten wie uns, bis zur alten, dementen Frau in unseren Pflegeheimen. Sie vegetieren dahin schon während ihres Lebens und später lassen wir auf unseren Friedhöfen ihre Gräber verroten. Und wie neue Blumen ihre Farben erstrahlen lassen nur um wieder zu verwelken, so vergehen auch unsere Beziehungen und Freundschaften. Ist das der Kreislauf des Lebens, Gott, müssen wir nur geboren werden um zu sterben? Wie du?
Bist du tot? Aus den Augen, aus dem Sinn, wie diese?

So werden wir leben!

Weiterleben, das Leben, es geht schließlich weiter.
Weiter, mit all unseren unbeantworteten Fragen, wieder und wieder von neuem sie aufwerfen, hinwerfen, vorwerfen,nachwerfen, neu werfen, umwerfen. Klagen, dich anklagen, verzweifeln, den nächsten Atemzug machen, Menschen sinnlos leiden, sterben, einander töten sehen, uns unsrem eignen Ende entgegen atmen, das genauso sinnlos erscheint und uns vielleicht nur die scheinbare Ruhe gibt, endlich nicht mehr weiter fragen zu müssen.
Und immer noch und immer wieder sind dein Leiden, dein Sterben und dein Tod ein Teil davon, denn du bist uns aus den Augen. Wo ist da der Sinn?
Weiterleben, das Leben, es geht schließlich weiter.
Weiter, breiter, weitend, immer weiter werdend, mit jedem Atemzug weiter klagen, immer weiter, noch weiter. Und dafür Sorge tragen, dass dieses Klagegeschrei niemals aufhören wird. Noch unsere Enkel und Urenkel,alle Generationen sollen darüber klagen und die Frage weitertragen bis in alle Zukunft hinein, und wenn sie uns Menschen auf anderen Planeten ansiedeln werden soll diese Frage und diese Klage immer mitgehen.
Wir schreien unsere Klage in deinen letzten Schrei mit hinein.
Und wir schreien noch lauter, weil wir auch die Klage derer darin erschallen lassen wollen, die nicht mehr klagen, die nicht mehr klagen wollen, die nicht mehr klagen können und die Klage all derer, die nicht klagen dürfen.
Wir werden diese Klage mit jedem Wort aussprechen, mit jedem Lied hinaus singen, in jedem Buch mitlesen, in jedem Film mitschauen, in jedem Menschen mittragen, in allem Tun und Lassen, jeden Morgen aufs Neue mit ihr aufstehen, jeden Tag hindurch zum Abend mit ihr leben und in den Nächten werden wir sie träumen.
Und wenn wir verstummen, so lassen wir unsere Steine klagen.
Weiterleben, das Leben, es geht schließlich weiter.
Und seit heute, mein lieber, mein nicht mehr atmender Gott, seit heute, da du tot bist, klingt unser Klagen und Fragen etwas anders als vorher, und es wird immer wieder von neuem und anders klingen, es verändert sich immer.
Denn ab heute werden wir nicht mehr glauben, dass du Gott, von all dem Dunkel menschlichen Lebens keine Ahnung hättest und wir werden dir auch nicht mehr den Vorwurf machen: "Ach Gott, du weißt ja nicht, wie das ist."
Du bist uns aus den Augen, doch nicht aus dem Sinn.
Du hast unser kleines, armseliges, manchmal ganz schönes und manchmal ziemlich beschissenes Leben mitgelebt.
Seht hin, so werden wir unsere Klage beenden:
Seht was für ein Mensch, Gott, mit uns. Mit der Welt.
In seinem Leiden das unsere, in seinem Tod den unseren.
Vor aller Augen geschehen. Mit allen Sinnen.
Ganz. Hörend. Ermutigend. Dankend. Liebend, Neu denkend, Staunend.
Vor aller Augen, mit Sinn.

...und ich halte es aus, und Du wirst groß

(weiter am Ostermorgen, Sonntag um 6.00 Uhr!)

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