Dienstag, 24. Dezember 2013

Gott ist verliebt

Weihnachten?

Der Advent ist vorbei, die Zeit des Wartens zu Ende, Weihnachten endlich da - Gott sei Dank! - und damit auch die Vielzahl von Vorbereitungen für dieses Fest vorüber. 
Und heute Nacht, da, um es in biblischen Worten zu sagen, da die Zeit erfüllt ist, heute Nacht, äh, ja? Was? 

Warten? Worauf?

Worauf haben Sie gewartet in diesen letzten vier Wochen? 
Auf den Wintereinbruch vielleicht? White Christmas? Oder hatten Sie keine Zeit, überhaupt zu warten, weil ja so viel zu tun war: diese Adventsfeier besuchen, jenes Geschenk besorgen. Keine Geduld, oft keine Zeit, wenig Warten und oft erwarten wir gar nichts mehr. Wenig Hoffnung, immer wieder zu geringe Liebe, schwieriges Warten, worauf vertrauen? Auf wen auch? Wurden wir nicht oft genug enttäuscht? Kein Gestern, kein Morgen - und heute vielleicht auch nicht so ganz da ... 
Schon gehört? "Die Fülle der Zeiten ist angebrochen."
Juchee, ach? Ja? Na und? 
Und "über uns strahlt das wahre Licht auf", um "uns und alle Menschen zu erleuchten". 
Lasst uns froh und munter sein, diese Wahrheit und dieses Geheimnis im Glauben erfassen und im Herzen bewahren, bis wir fähig sind, mit unseren leiblichen Augen den Glanz jener Herrlichkeit zu schauen, die uns in dieser Nacht geboren wird. 
Der Klang solcher Sätze, anisgeschwängert, lebkuchengeschmacklos, Kirchenton "frömmelnd", mit schiefgelegtem Kopf und süßlich-kindlicher Stimme intoniert. Oh du Fröhliche! 
Worauf denn warten? Was erwarten? 
Noch mehr fromme Floskeln, deren Bedeutung zu verstehen wir humanistische Bildung bräuchten, da dies aber ein Konjunktiv ist, im Verstehen bereits verloren seiend?
Vielleicht erwarten Sie einen moralischen Appell? Gut, wie wäre es mit diesem? 
Sollten wir uns nicht viel mehr Zeit nehmen uns auf die Ankunft des Herrn vorzubereiten?
Klar! Common sense, also: da stimmt dann schließlich jeder zu. Gut ist! 
Na und? Aber was heißt das? Ankunft des Herrn? 
Schau mal vor die Haustür, ob hochschwangere ledige Frauen davor stehen. 
Nee, zum Glück nicht *erleichtert-lachend*. 
Wenn Sie so etwas erwartet haben ... Nun: dann haben sie es ja jetzt gehört - und wenn Sie so etwas letztes Jahr gehört haben und sich in diesem Advent wieder nicht die Zeit genommen haben, sich mit etwas mehr adventlicher Ruhe auf Weihnachten einzustimmen, dann brauche ich es Ihnen dieses Jahr nicht noch einmal zu sagen. Denn auch nächstes Jahr werden Ihnen dann die Weihnachtsgeschenke, das Festessen, der Hausputz auch wieder wichtiger sein. Alle Jahre wieder. 
Nein, wie Sie leben und gerne leben möchten, das wissen Sie besser als ich. Wenn Sie glauben, dass ich Ihnen heute nur ein schlechtes Gewissen einreden muss, damit Sie morgen -- vielleicht morgen ... oder so - ein besserer Mensch werden, dann warten Sie darauf vergebens. 

Rührselige Harmonie gefällig?

Sollte ich Ihnen vielleicht etwas heiter, harmonisches, Besinnliches bieten?Christbaumrührseligkeit und Familienglück, Feingebäck und Festtagsbraten, Süßer die Glocken, am Weihnachtsbaum die Lichter, leise rieselt ... die Stille in dieser Heiligen Nacht ... an uns ... vorbei? 
Wenn sie so etwas erwartet haben, nun: dann haben sie es sicher schon im Vorfeld von Weihnachten im Fernsehen gesehen, die Musik in den Straßen der Stadt hat es Ihnen schon in die Ohren geschrien und als ob das nicht genug wäre, so dröhnt es Ihnen doch sicher aus dem Radio entgegen und stimmt vielleicht nicht einmal halb so friedvoll mit der Realität in unseren Familien überein, weil sich der Streit doch oft nicht vermeiden lässt, der sich um Kleinigkeiten wie Christbaumkugeln, die alle Jahre wieder an den Baum kommen, dreht, dreht, dreht, und um die Tante, die alle Jahre wieder, *kotz* eingeladen hat/ist, damit alle Kinderlein zu ihr kommen. "Mein Gott, hoffentlich ist das Fest bald vorbei." 
Nein, das harmonisch gesäuselte "Friede allen Menschen, seht doch das Kindlein" - auch das brauche ich Ihnen nicht zu wünschen: Wie Sie miteinander in Ihren Familien leben und gerne leben möchten, würden, wollten, sollten, könnten, wenn da nicht die anderen ... das wissen Sie besser. Wenn Sie glauben, dass ich Ihnen heute diesen Frieden nur einreden muss, damit Sie morgen - vielleicht morgen, übermorgen? Ja, ich nehm's mir ganz fest vor für's nächste Jahr, so wird es NICHT wieder ... - ein friedvollerer Mensch werden, dann warten Sie auch darauf vergebens. Ausrufezeichen. 

Warten? (Versuch # zwei, mit Rilke)

Worauf warten Christen? Worauf warten Sie wirklich? 
Wie soll ich Ihnen in ihrem Warten beistehen oder vielleicht sogar ein wenig mehr an Klarheit verschaffen?
Wie soll ich wissen, ob ihre Hoffnungen sich an ihre Erinnerungen klammern, dass Weihnachten doch früher, in der Kindheit, immer etwas Feierliches war und heute so anders ...

Es wäre gut viel nachzudenken, um
von so Verlornem etwas auszusagen,
von jenen langen Kindheit-Nachmittagen,
die so nie wiederkamen - und warum?

Noch mahnt es uns -: vielleicht in einem Regnen,
aber wir wissen nicht mehr was das soll;
nie wieder war das Leben von Begegnen,
von Wiedersehn und Weitergehn so voll

wie damals, da uns nichts geschah als nur
was einem Ding geschieht und einem Tiere:
da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre
und wurden bis zum Rande voll Figur.

Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt
und so mit großen Fernen überladen
und wie von weit berufen und berührt
und langsam wie ein langer neuer Faden
in jene Bilder-Folgen eingeführt,
in welchen nun zu dauern uns verwirrt.
aus: Neue Gedichte, http://www.rilke.de 
Wie sollte ich Ihnen verloren gegangene oder auch nur vergangen geglaubte Gefühle auferstehen lassen und Erinnerungen an eine Zeit heraufbeschwören, in der etwas lauter Jubel erregte und große Freude schenkte. 
Wie sollte ich, ausgerechnet ich?, "das drückende Joch zerbrechen", Traghölzer von ihren Schultern nehmen, dröhnend daherstampfende Stiefel verbrennen und blutbefleckte Mäntel dem Feuer zum Fraß geben? 
(Hat jemand die Weihnachtslesungen in den Kirchen gehört? Also, überhaupt jemals wirklich vernommen?) 
Nein, ich kann Ihnen nur etwas Unerhörtes, etwas nie Erreichbares bieten, etwas Unmögliches, etwas was kein Mensch zu denken gewagt hat und was dennoch geschah. Ein Skandal für die einen, eine unglaublich erscheinende Narretei für den Rest der Welt, eine Ketzerei, die man noch nie zuvor gehört hat - aber doch: eine wahre Geschichte. 

Eine wahre Geschichte

Eine Geschichte, die alle Jahre wieder erzählt worden ist: 
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. 
Seine Herrschaft ist groß und der Friede hat kein Ende, jetzt und für alle Zeiten. 
Die leidenschaftliche Liebe Gottes zu uns hat das vollbracht. 
Die Gnade Gottes ist erschienen um alle Menschen zu retten.

Unerhört, Gott wird Mensch. Unglaublich, Gott liebt die Menschen. 
Das feiern wir, Geburtstag, weil ein Kind geboren ist. Gott wird Mensch, nicht weil er alle Not von den Seinen nehmen wollte, nicht weil er ein für alle mal das drückende Joch von Not und Krankheit, von Tod und Trauer zerbrechen will, nicht weil er dröhnend daherstampfende Stiefel verbrennen will, damit endlich keine Kriege mehr herrschen und die Menschen in Frieden miteinander leben.
Warum aber dann?
Waren Sie schon mal so richtig verliebt? Haben Sie etwas ganz arg lieb? 
Dann können Sie sich vielleicht vorstellen, weshalb Gott in die Welt kam, nämlich weil Gott die Liebe ist, und weil die Liebe nicht anders kann, als dem Geliebten nahe sein zu wollen. 

Der verliebte Gott lädt zum Geburtstag

Wir Menschen können das nicht so einfach, da liegen Wollen und Wünschen auseinander, da sind Raum und Zeit, die uns vom Geliebten trennen, und oft auch der Tod. 
Für Gott ist das einfacher. Warum? Na, weil Gott Gott ist. Und weil es Gott nicht gefiel, vom Ziel seiner Sehnsucht und von seiner tiefsten Leidenschaft, dem Mensch, entfernt zu sein, wurde er Mensch, um dem Mensch nahe zu sein. Unglaublich, unerhört - aber auch grandios und großartig. Und ganz einfach. Für ihn auf jeden Fall, für uns auch noch irdisch: Im Stall. 
Aber das ist noch nicht alles, die Geschichte, die uns erzählt wurde, ist noch nicht zu Ende geschrieben. Es liegt an uns, an Ihnen, an Dir, an mir, sie weiterzuschreiben und weiterzuerzählen. 
Ich tue das, indem ich Ihnen statt des Moralisierens und des Harmonisierens nur von einem ganz unscheinbaren Geburtstag erzähle, den wir heute - alle Jahre wieder - miteinander feiern. Sie sind als Gäste eingeladen. 
Ich glaube, die beste Art, diesen Geburtstag zu feiern, ist es, wenn wir hier und heute - jetzt! - Gott noch mehr und weiter Mensch werden lassen, unerhört, radikal, unglaublich. 
Gott wurde Mensch, hat Fleisch angenommen! 
Wenn Sie erahnen wollen, was das bedeutet, dann schauen sie sich um, schauen Sie ihrem Nachbar in die Augen, den Menschen Ihrer Familie, sich selbst. Schauen Sie und sehen Sie, in wem Gott Mensch wurde: in ihrer Frau, ihrem Sohn, ihrem Onkel, dem Großvater, der Freundin, dem Nachbarn ... Gott hat in diesem konkreten Menschen auch einen Namen bekommen: Heinz, Paula, Erika, Hilde, Jennifer, ... 
Schauen Sie hin, schauen Sie so hin, dass auch Ihr Gegenüber in Ihren Augen sieht, dass Gott Mensch geworden ist. Ja, schauen Sie und erkennen Sie! 
Sie können sich auch Frohe Weihnachten wünschen, wenn Sie wollen, aber ich finde eine Gratulationsformel heute passender:
Herzlichen Glückwunsch - denn heute ist in Ihnen, in Dir, Gott Mensch geworden. 

Friede allen Menschen guten Willens.

1 Kommentar:

  1. Herzlichen Glückwunsch! Denn Gott ist auch in Dir, Thomas heute Mensch geworden ;-)

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