Samstag, 28. Dezember 2013

Kopfkino


„Von unfassbaren Katastrophen eingeschüchtert und von winzigen Störungen verfolgt, leben wir in einer durchlöcherten Normalität, durch die das Chaos uns höhnisch entgegengrinst.” (Hans Magnus Enzensberger)

von Thomas Körbel und Erika Neumayer


Die Wahrheit über unsere Persönlichkeit

Unsere sogenannte Persönlichkeit ist eine Illusion. Wir sind nicht mit uns identisch, stimmen nicht mit uns selbst überein, sind nicht authentisch. Wir bestehen zu einem großen Teil aus den Vorstellungen, die andere über uns haben sollen. Und wir vermeiden es daher allzu oft mit Vehemenz, genau die zu werden, die wir sein können (oder von Gott her sein dürfen und sollen). Das war überlebensnotwendig, nur so haben uns die Eltern lieb gehabt.

Auch unsere sogenannte Welt ist eine Illusion. Sie ist nicht mit uns identisch, stimmt nicht mit uns überein, ist widerständig zu uns, nicht wahrhaftig. Sie besteht zu einem großen Teil aus den Vorstellungen, die wir über sie haben (haben sollen?). Und wir vermeiden es daher allzu oft mit Vehemenz, genau die zu werden, die wir in dieser Welt sein können (oder von Gott her sein dürfen und sollen).

Da beklagt ein ehemaliger Kollege lauthals die soziale Kälte und vermengt dies mit der globalen Erwärmung, ein anderer Zeitgenosse pflegt dafür die soziale Wärme (aber nur mit seinesgleichen) und klagt über die Verschwörung der globalen Erkältung: "Die jährliche Grippe ist ein künstlicher erzeugter Retro-Virus der Pharmaindustrie, um uns in den Abhängigkeiten der geistigen Gefangenschaft des Systems zu halten." Verschwörungstheoretiker haben Hochkonjunktur. Aber sie leben allesamt in ihrem Kopfkino.

Die Welt geht unter? Wenn sie böse ist, ist es gut so. Dann wird es Zeit, dass sie vernichtet wird, dann muss ich mich wenigstens nicht mehr über ihren erbarmungswürdigen Zustand aufregen.

Wenn sie aber gut ist, die Welt?
Nun, wenn ein Film schlecht ist, geh ich aus dem richtigen Kino auch raus oder schalte den Fernseher ab. Guck ich nicht mehr hin, läuft der Mist "objektiv" doch trotzdem weiter, oder? 

Also hilft Wirklichkeitsverdrängung nicht weiter.
In Wahrheit konzentriere ich mich nur auf was Anderes.
Kann die Welt also gar nicht untergehen? Nur meine Konzentration kann sich um-wenden. 
Vielleicht kann die Welt nicht untergehen, es gibt sie nämlich vielleicht überhaupt nicht. Die Welt existiert nicht. Das sagt zumindest Markus Gabriel in seinem Buch "Warum es die Welt nicht gibt"Das ist aber vielleicht womöglich unter Umständen nur ein anderes Kopfkino, ein Holzweg der Gedanken.

Wie komme ich da raus?
Erst mal: Herr der Lage werden!

Wie Du Dein Kopfkino steuerst

Vor einiger Zeit machten Erika und ich uns Gedanken über das Kopfkino:
Kopfkino sind meine eigenen Gedanken meine eigenen Bilder, die mein Ego, also mein kleines Selbst einblendet und nicht das große Ganze sieht, sondern nur einen ganz kleinen Ausschnitt, den ich vielleicht erlebt und noch nicht bearbeitet habe, der dann immer wieder hoch kommt und ich auf einen anderen projiziere, den ich dann damit verletze, was ich niemals will oder wollte. Mein Kopfkino sind auch manchmal meine eigenen Ängste, mein Gefängnis, aber es kann auch wunderbar sein, wenn ich mir was Schönes vorstelle. Ich bin Herrin meines eigenen Buches. Ich will die Herrin sein. Der Regisseur bin ich selber, doch wer ist der Zuschauer? Auch ich selber, oder die anderen, das weiß ich jetzt nicht. Kopfkino sind meine eigenen Gedanken. Was ich mir vorstelle oder vorstellen kann.
Sind wir die Gefangenen unserer Gedanken oder sind wir die Herren über ihre Richtung? Die "Horde wilder Affen", wie sie mein Meditationslehrer immer nannte, tobt immer umher. Meine Aufmerksamkeit folgt ihnen. Aufmerksamkeit ist der Teil, der das Kopfkino startet und ihm Nahrung gibt.
Was passiert wenn das Kopfkino startet? Es startet ein Film den ich nicht mehr stoppen kann, ich werde dann zu meiner Sklavin oder zu meiner Herrin. Der Regisseur bin ich selbst, mein Vater, mit seiner Geschichte, eine kulturelle Prägung, oder eine kindliche Erfahrung? Mein Erlebtes? Der Zuschauer bin ich doch auch selbst? Meine Seele? Ich bin immer Herrin und Sklavin des Buches, ich muss meine Zeit in das Buch stecken, werde aber, wenn ich authentisch bin, eins mit der Zeit, es gibt dann keine Zeit mehr. Das Buch und ich sind eins.
Machen wir eine Gewohnheit daraus. Das nächste Mal, wenn der Film startet, kannst Du ihn stoppen. Du lernst es, gewöhnst es Dir an. Das ist tägliche Übung, tägliche Übung, tägliche Übung und nochmals tägliche Übung. Kein Meister fiel jemals vom Himmel, auch nicht der Meister des eigene Kopfkinos. 
Du übst, bis der Film stoppt.
Der Film stoppt. Und dann?
Dann schreibst Du ihn neu. Denn Du bist der Regisseur. Du bist das Buch. Du bist Herr und Herrin über Deine eigenen Gedanken. Wenn das geschafft ist, und das ist sicher harte Arbeit, dann überlegen wir weiter, wie wir den Film wechseln, um nicht von einem Holzweg auf den nächsten geraten zu sein.

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